Der Landschaftsarchitekt kennt die Fallstricke und Kommunikationsprobleme im Naturschutz. Um wirklich etwas zu verändern, brauche man neben Kompetenz und Mut auch jede Menge Überzeugungskraft. Heiner war aktives Mitglied im Förderverein des Naturparks „Mecklenburgische Schweiz und Kummerower See“, einem Projekt, in dem zwischen 1992 und 2009 der Unterlauf der Peene und der Kummerower See großflächig renaturiert wurden. Er hatte zur gleichen Zeit ein vergleichbares Großprojekt auf Rügen als Projektplaner bearbeitet, so dass er die im Interview zur Sprache gebrachten Zusammenhänge intensiv kennenlernte.
Konrad: Wer heute vom Salemer Aussichtshügel über den Kummerower See blickt, erkennt den See kaum wieder. Was war geschehen?
Heiner: Ja, es sieht aus, als würde sich der See immer weiter ausdehnen. Der Grund dafür sind sogenannte Wiedervernässungmaßnahmen. Große Teile des Peenetals wurden in den vergangenen Jahrzehnten renaturiert. Dazu gehören auch die Wiesenflächen westlich des Kummerower Sees. In der Folge hat sich das Landschaftsbild stark gewandelt. Ehemals intensiv genutzte Grünlandflächen haben sich großflächig in Wasserflächen oder in Röhrichte verwandelt. Und es hat sich z.B. eine Reihe von Vogelarten wieder angesiedelt, die vorher in Deutschland ganz oder nahezu ausgestorben waren. Da bleibt es dann auch nicht aus, dass naturinteressierte Besucher zunehmend Interesse an der Region bekommen.
Konrad: Was war die Ursprungsidee für die Renaturierung?
Heiner: Der Auslöser war nicht etwa die Schaffung einer zusätzlichen Attraktion für Touristen, sondern vor allem Überlegungen zum Klimaschutz. Dazu muss man wissen, dass der größte Anteil an Treibhausgasen in Mecklenburg-Vorpommern nicht etwa durch Autoverkehr oder Industrie produziert wird, sondern durch entwässerte Moore. Wenn Moorflächen entwässert werden, wird der Torfboden mineralisiert. Unter Sauerstoffzufuhr wird festgelegter Kohlenstoff als CO2 in die Atmosphäre freigesetzt. Der Boden sackt mit den Jahren immer weiter zusammen. Um die Flächen weiterhin bewirtschaften zu können, müssen auch die Gräben immer weiter vertieft werden. Dies hatte beispielsweise westlich des Kummerower Sees zur Folge, dass die Bodenoberfläche um mehrere Dezimeter absackte. Sie lag Ende der 80er Jahre bereits deutlich unter dem mittleren Wasserspiegel des Kummerower Sees. Eine Nutzung als Wiese oder Weide war überhaupt nur noch möglich, weil der See durch Deiche von den Wiesen getrennt worden war. Aus den Wiesen musste das Wasser permanent abgepumpt werden. Da die Moordegradation durch die anhaltende Entwässerung immer weiter fortschritt, erhöhte sich auch der für das Pumpen erforderliche Energieaufwand immer weiter. Immer weniger Landwirte waren bereit, die dafür nötigen Kosten zu tragen. Im Rahmen eines sogenannten „Naturschutzgroßprojektes des Bundes“ wurden dann umfangreiche Mittel zur Verfügung gestellt, um dieses Dilemma zu lösen. Den Landwirten wurden Entschädigungen bzw. Tauschflächen angeboten.
Konrad: Welche Wiederstände hattet Ihr Anfangs und welche habt ihr heute?
Heiner: Kein Landnutzer wurde damals gezwungen, seine Flächen aufzugeben. Vielmehr war diese Lösung auch aus Sicht der meisten Landwirte seinerzeit ein sehr willkommenes Angebot. Widerstände gab es eher aus emotionalen Gründen, weniger aus wirtschaftlichen. Immerhin hatten viele Menschen miterlebt, wie die Moorflächen seit etwa 1920 mit großem Aufwand entwässert und damit nutzbar gemacht wurden. Nun sollte dies alles, wieder mit viel Aufwand, rückgängig gemacht werden. Und gerade bei Landwirten gibt es natürlich auch eine Art Verwachsenheit mit ihrer „Scholle“. Da ist es dann nicht egal, ob die Wiesen in Hofnähe in der Peeneniederung oder etwas weiter entfernt in der hügeligen Endmoränenlandschaft der Mecklenburgischen Schweiz liegen.
Heute sind es Begleiterscheinungen, wie etwa nicht mehr begehbare Wege. Ehemalige Zugänge von den Anliegerorten zum Kummerower See sind teilweise ganzjährig überflutet und unpassierbar. Weiterhin wird die Nichtnutzung, bei gleichzeitig steigendem Nahrungsbedarf auf der Erde, von einigen als Verschwendung angesehen. Es gibt auch Befürchtungen, dass sich durch die großen Wasserflächen die Mückenpopulationen vergrößern und möglicherweise sogar wieder die Malaria ausbricht…
Konrad: Womit macht ihr Anwohnern und Besuchern heute die Renaturierung schmackhaft?
Heiner: Eigentlich sind ja die Gründe, die bereits zu Beginn der Renaturierung dafür sprachen, auch heute noch genauso überzeugend wie damals. Sie sind nur heute, 25 Jahre nach Beginn des Projektes, wieder weitgehend in Vergessenheit geraten. Immerhin waren knapp 20 Mio. € in Landkauf und Ausgleichszahlungen an die örtlichen Landwirte geflossen.
Zusätzlich ist es mittlerweile so, dass gerade die großflächig überfluteten Wiesen mit ihrem für deutsche Verhältnisse sehr ungewöhnlichem Erscheinungsbild zunehmend naturinteressierte Touristen anlocken. Viele wollen nicht nur Vögel beobachten, sondern auch mehr über die Hintergründe erfahren. Die Verwaltung des Naturparks „Flusslandschaft Peenetal“ (http://www.naturpark-flusslandschaft-peenetal.de/)bietet zahlreiche geführte Wanderungen zu renaturierten Flächen an. Die Angebote werden immer stärker nachgefragt.
Teilweise etablieren sich auch neue Technologien in der Region. So gibt es zum Beispiel in Malchin ein Heizwerk (http://www.niedermoor-nutzen.de/das-heizwerk.html), das seine Biomasse von 400ha renaturierter Moorfläche bezieht. Die dort wachsenden Pflanzen sind zwar als Viehfutter nicht geeignet, ersetzen aber als nachwachsender Rohstoff pro Jahr 300.000 Liter Heizöl (Tageszeitung „Nordkurier“ vom 12.12.2017).
Konrad: Warum ist Renaturierung wichtig? Und welche Rolle spielt Kommunikation?
Heiner: Wichtig sind diese Renaturierungen nach wie vor in erster Linie aus Klimaschutzgründen. Sollten sie rückgängig gemacht werden, würde dies im Übrigen mittlerweile erhebliche artenschutzrechtliche Probleme verursachen. Auch sind die Pumpwerke vollständig rückgebaut und weitere wasserbauliche Infrastruktur ebenfalls. Das Rückgängigmachen der Renaturierungen ist keine ernsthafte Option.
Die Bereitschaft, die sich bietenden Möglichkeiten anzunehmen, ist bei vielen Anwohnern aber nach wie vor nicht vorhanden. Es ist schon erstaunlich, dass sogar offensichtlichen Positiveffekten mit Misstrauen begegnet wird. So wurden im vergangenen Jahr auf einer Gemeindevertretersitzung Vorschläge diskutiert, wie das sich abzeichnende zunehmende Interesse bei naturinteressierten Besuchern noch stärker für die lokale touristische Entwicklung nutzbar gemacht werden könnte. Von Seiten der Gemeindevertreter wurden allerdings deutliche Bedenken geäußert. Etwa: „Wer will denn schon zu uns kommen, um hier Moore zu besichtigen?“
Dagegen gibt es unter anderem einen sehr aktiven Verein, den „Freunde Fritz Greve e.V.“ (http://www.moortheater.de/index.html), der mit Lesungen und Theatervorstellungen das Thema Moorlandschaften auf verschiedene Weise der Öffentlichkeit zugänglich macht. So fanden im Marstall in Basedow im vergangenen Jahr die Moortheater-Vorstellungen vor jeweils mehr als 500 Zuschauern statt.
Die nachhaltigen Veränderungen in der Landschaft um den Kummerower See sind mittlerweile optisch deutlich sichtbar. Sowohl für manchen langjährigen Kenner der Region, als auch für spontane Erstbesucher (https://kummerower-see.1000seen.de/moor-mehr) üben sie einen ganz besonderen Reiz aus. Ähnlich, wie sich die Oberfläche des Sees in die umgebende Landschaft ausgebreitet hat, nimmt hoffentlich auch die lokale öffentliche Wahrnehmung der Chancen zu, welche natürliche Moorlandschaften bieten können.