Stehen wir nun am Abgrund oder nicht? Versagen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft? Vieles spricht in diesen Tagen dafür, dass mühsam aufgebaute Errungenschaften, zusammengefasst in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, blindem Aktionismus zum Opfer fallen. Wem nützt das? Warum passiert das? Für Paula ist genau jetzt die Zeit, solche Fragen zu beantworten. Und zwar durch die Analyse durchaus verfügbarer Daten darüber, was wirklich läuft. Ihr Ziel: Daten für, und nicht gegen Menschen zu nutzen. Ihr Mittel: Herz. Amor gleich, hat sie Pfeile im Köcher, die zu erkennen sich lohnt, wenn sie abgeschossen werden. Im Interview spricht Paula, Fondatrice und Systemtechnikerin, über Ziele, Meilensteine und Perspektiven des von ihr Ende 2017 gegründeten World Datanomic Forum (WDF).
Konrad: Warum brauchen wir ein WDF?
Paula: Die meisten der gegenwärtigen Entscheidungszyklen bei CEOs, Politikern und Entscheidern sind zu sehr auf Zahlen fixiert und zu herzlos. Dem müssen wir entsprechend wichtige Fakten und Taten entgegensetzen, und zwar mit großer Vorsicht. Ich habe von 2015 bis 2017 etwas über zwei Jahre in Griechenland in mehreren Flüchtlingscamps gewohnt und gearbeitet und Dinge gesehen! Verzweifelte, sterbende Menschen … Gleichzeitig ging und geht das Wirtschaftsgeschehen munter weiter. Entscheider sind nach wie vor so konditioniert, dass sie die Entmenschlichung des Menschen für die ständige, steigende Produktion organisieren. Sie versystematisieren ihn in der gut gemeinten, aber antiquierten Denke, das Beste für die Menschen zu tun. Der Zyklus ist der: produzieren, stimulieren und konsumieren. Als gute Entscheider gelten Menschen, die andere Menschen dazu bringen können, eben diesem Zyklus zu folgen. Aber dieser Zyklus bringt uns in keine zukunftsorientierte Richtung.
Konrad: Ziemlicher Frontalangriff auf das bestehende und weitgehend akzeptierte Wertesystem…
Paula: Wieso? Es geht um Respekt, Einsicht und Vergebung. Und zwar zwischen allen Beteiligten, also Konsumenten, Bürgern den Entscheidern. Auch muss man als Menschheit ja erst mal dahin kommen, dass man Überkonsum hat! Thank you generations before! Was wir bisher erreicht haben, ist gut! Aber es ist auch gut, einzusehen, dass sich nun dringend etwas ändern muss. Genau dafür ist die nächste Generation immer da, wir sind die Rente. Und jetzt sagen wir mal Danke, den Leuten die aufgebaut haben, und setzen eine andere, ganz neue Richtung auf. In die können wir nur gehen, wenn wir uns für die Vorarbeit bedanken, die Fehler der Vergangenheit vergeben, respektvoll Kritik üben, Transparenz herstellen und, auch wenn es schmerzhaft ist, gemeinsam Dinge ändern.
Konrad: Welche?
Paula: Wir müssen langfristig gedachte und respektvolle Entscheidungen zum Wohl von Menschen und nicht von Konzernen treffen. Geld allein darf nicht mehr die größte Rolle spielen. Darum tun wir uns als Erben zusammen und bündeln Kapital in Milliardenhöhe. So kommt Geld zum Ruhen, in einem World Datanomic Fund. Um es zu halten. Um zu sagen: „Wenn kein Geld fließt, momentan, verhalten sich die Leute besser. Es geht trotzdem weiter, manchmal sogar besser. So haben wir finanzielle Schlagkraft, nutzen sie aber nicht wie gehabt, sondern stellen die Bedeutung von Geld in der Welt von heute Infrage. Das ist das sinnvollste, was wir tun können.
Konrad: Und womit bezahl´ ich beim Bäcker?
Paula: Mit Geld, das einen echten Gegenwert hat. Beim Bäcker funktioniert das ja heute noch, aber nicht mehr in globalen Finanzmärkten und erst recht nicht mehr mit Cryptocurrencies im Darknet. Seit dem Ende von Bretton-Woods (Goldstandard) ist kein Gold mehr da um irgendeine Art von Sicherheit über den tatsächlichen materiellen Wert einer Währung zu geben! Hinzu kommt, dass es heute überhaupt keinen ähnlich wie Geld verbreiteten und akzeptierten Gegenwert dafür gibt, ein guter Mensch zu sein. Darum bündeln wir dieses Geld und erarbeiten derzeit im WDF ein Punktesystem, um zu sagen: Gutes Kapital mit neuem Gegenwert ist wieder da, es ist unser Gegenwert, unsere Goldreserve, unser realer Sockel für gute Arbeit!
Konrad: Wie reagieren die Stakeholder, die jetzt am Drücker sind?
Paula: Das Problem für viele Entscheider ist, dass wir jetzt so richtig viel Geld haben und ordentlich was machen können! Man kann uns also nicht mehr ignorieren und ist mindestens verunsichert – was kommt da wohl auf uns zu? (Anm. d. Red.: In seinem Beitrag in der SZ-Beilage „Plan W“ zitiert Autor Nils Wischmeyer den Global Wealth Report 2016 von der Boston Consulting Group; demnach wollen 88 Prozent aller weiblichen Erben ihr Geld in sozialverträglichen Projekten anlegen. Insgesamt 2.300 Milliarden Dollar könnten die Frauen dieser Welt in nachhaltige Projekte stecken, habe die Unternehmensberatung Earnest & Young errechnet.)
Konrad: Jüngster Fingerzeig war deine Mitarbeit als Informantin für den „Spiegel“-Artikel über die jüngst angeklagte Flüchtlingshelferin Sarah Mardini. What´s next?
Paula: Gleicher Schauplatz, Griechenland. Die Finanzen der griechischen Regierung wurden zu Beginn der Wirtschaftskrise von den Finanzen der Kirche getrennt. Die griechische Kirche ist extrem wohlhabend, der größte Halter von Grundstücken im ganzen Land. Das muß in einen Topf, wenn man die wirtschaftliche Lage eines Landes bewertet und dann eine Kapitalkrise ausruft. Heute wird das Geld der Kirche immer noch nicht angefasst. Stattdessen sind die Verantwortlichen nicht in der Lage, eine ordentliche Zusammenarbeit mit Helfern aus der ganzen Welt zu koordinieren. Sie sind zu gelähmt und zu intransparent, um Hilfe richtig anzunehmen oder überhaupt respektieren zu können. Die Folge: Statt geholfen wird noch viel gelogen über die Situation in meinem Mutterland, und man steckt Leute unter fadenscheinigen Vorwänden ins Gefängnis. Der Schlamassel könnte bei richtiger Verwendung vorhandener Daten ohne Weiteres gelöst werden. Das Problem ist auch hier die Zusammenarbeit zwischen Kulturen, Altersgruppen und Geschlechtern. Und auch, dass sich alle in die eigene Tasche wirtschaften, weil sie denken, dass das Reichtum ist. Gleichzeitig können wir selber keine Hilfsgelder nach Griechenland runter bringen, weil Entscheider das politische Feld vor Ort bestimmen, die nichts anderes zu tun haben, als sich gegenseitig anzulügen.
Konrad: Das schreit nach „Schluß damit!“ Wie geht es jetzt weiter?
Paula: Vieles läuft ja schon. Wir haben unsere „Goldreserve“ mit gutem, neutralem Geld gegründet und täglich kommen neue Menschen auf uns zu, um ihr Kapital draufzulegen. Daneben melden und positionieren sich Manager, die wirklich was Neues, Sinnvolles tun wollen. Wir versorgen im Übrigen niemanden mit weißen Westen unter dreckigen Anzügen! Wir sollten unser Herz nicht vermüllen, darum suchen wir Leute, die selber klarkommen und kooperieren wollen. Und ein Mindestmaß an Verständnis für die Beweggründe hin zu einem neuen System sollte bereits vorhanden sein.
Nützliche Links:
Paula in „Plan W“, einer Beilage der „Süddeutschen Zeitung“
Fellow im Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte