Konrad: Jeder deiner „Spaziergänge“ ist gut vorrecherchiert, hat ein Thema aus Archäologie, Geografie, Kunst oder Geschichte und zeigt Dinge, die man auf den ersten Blick nicht sieht. Was ist dein Konzept?
Hendrik: Die „unsichtbare Stadt“ bzw. die „unsichtbare Landschaft“. Das meiste, was im Prinzip wahrnehmbar wäre, nimmt man nicht zur Kenntnis. Das braucht man normalerweise auch nicht. Man kann aber einen Teil dieser alltäglichen Anästhesie auflösen. Das ist manchmal schmerzhaft und manchmal schön, oft beides gleichzeitig.
Konrad: Du regst deine Mitgänger zur Aufmerksamkeit für ihre Umgebung an. Was ist dir dabei wichtig?
Hendrik: Verbindungen herzustellen zwischen den wahrgenommenen Elementen und auch zu den Dingen, die zwar aktuell nicht wahrnehmbar sind, die man aber im Kopf hat.
Konrad: Wie bist du auf dein Konzept gekommen? Was war dein erster Spaziergag dieser Art und was war passiert?
Hendrik: Die Spaziergänge mit meinem Vater Sonntagmorgens in ein „Wäldchen“ in unmittelbarer Nähe unserer damaligen Wohnung; Eichhörnchen sprangen von Ast zu Ast. Da war ich etwa vier Jahre. Dass Spazierengehen eine ernstzunehmende, künstlerische Betätigung sein kann, habe ich im Jahr 2000/2001 bemerkt.
Konrad: Was hast du in 2000/2001 gesehen, begriffen, unternommen?
Hendrik: Ein Marseiller Künstler hatte mich und eine befreundete Stadtgeographin eingeladen, zwei Stadtspaziergänge vorzubereiten – als Begleitprogramm zu einer Ausstellung. Das hat mir so gut gefallen, dass ich mein Bildhaueratelier (vorübergehend?) verlassen habe, um Wege zu erforschen.
Konrad: Welches war dein bisher wichtigstes, spannendstes, weitgreifendstes Projekt
Hendrik: Normalerweise das Projekt, an dem ich gerade arbeite. Das ist allerdings im Moment nicht der Fall. Ich frage mich, ob die lokale Marseiller Kulturindustrie nicht dabei ist, dieses Kunstmedium als Modeerscheinung zu vereinnahmen und zu standardisieren. Ob und wie ich dieser Tendenz entgegensteuern kann, weiss ich noch nicht.
Wer in Marseille ist und etwas Zeit hat, sollte Hendrik kontaktieren und ihn nach seinem nächsten Spaziergang fragen. Hier ein paar Adressen für weitere Informationen zu seinen Erkundungen und zu dem, was man dabei erleben kann:
https://www.zeit.de/2013/27/marseille-wandern-grande-randonnee
https://doi.org/10.1524/para.2012.0017
http://strabic.fr/Hendrik-Sturm-l-infatigable
http://derives.tv/la-galerie-de-la-mer/